Die beiden Schwestern Hildgund Brückner und Helmgard Hobinka leben seit vielen Jahren in Dalheim. Sie waren aus dem Sudetenland zunächst nach Österreich geflohen. Der Vater fand Arbeit als Musiker in Salzburg. „Trotzdem hatten wir immer Angst wieder nach Hause geschickt zu werden., Die Österreicher waren nicht erfreut über uns Heimatvertriebene“, erzählt Hildgund Brückner.
Schließlich zog die fünfköpfige Familie weiter nach Auerbach, in ein Lager in der Nähe von Bensheim.
1946 schlossen sie sich einem Transport nach Bürstad an. Hier wurde ihnen ein kleines Giebelzimmer bei einem Ehepaar zugeteilt. Alles war knapp zu dieser Zeit, der Hunger war groß. Der Vater zog von Tür zu Tür um das wenige Hab und Gut der Familie gegen Essen einzutauschen. Die Kinder sammelten Bucheckern und Holz. 1948 fand der Vater eine Anstellung an der Goetheschule in Wetzlar, die Familie zog später nach. Für die Kinder war es zunächst schwierig Anschluss zu finden. „Wir waren schon ein wenig fremd für die anderen Kinder und sie gingen auf Distanz zu uns. Es gab viele Vorurteile“, erinnert sich Helmgard Hobinka.
In Dalheim wohnten viele „Rucksack-Deutsche“, wie die Heimatvertriebenen oft genannt wurden. Dies zeigen auch die vielen Straßennamen, die sich vor allem auf die Herkunftsgebiete der vielen Flüchtlinge, die in Wetzlar nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Heimat fanden beziehen: Breslauer Straße, Egerländer Weg, Königsberger Straße, Memeler Straße und Sudetenstraße.
Auch Klaus Brückner erzählt anschaulich und bewegend, wie er als zehnjähriger Junge mit seiner Familie aus dem Sudetenland nach Deutschland floh. „Diese Ereignisse waren für mich sehr prägend und ich kann mich an alles sehr gut erinnern, auch wenn es schon so lange zurückliegt“, so Brückner. Ihn wundert, dass später in seiner Familie so wenig über diese Zeit gesprochen wurde. Vieles ist nicht aufgearbeitet worden. Umso wichtiger sind für Brückner die Treffen der Sudetendeutschen, zu denen er regelmäßig geht um den Austausch zu pflegen. Die Schwestern Brückner und Hobinka haben sich stark mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt und alle Stationen ihrer Reise nach Deutschland im Nachhinein besucht. „Je älter wir werden, desto mehr interessieren wir uns für die Vergangenheit“, so Brückner. „Viele Fragen, die wir unseren Eltern gerne noch gestellt hätten, bleiben offen. Jetzt fragen uns unsere Kinder nach der Geschichte, und wir versuchen unsere Erfahrungen weiter zu geben.“
Bärbel Keiner, Ehrenamtliche Stadträtin und Vorsitzende des Behindertenbeirates erinnert sich an die damals schwierige Situation zwischen Katholiken und Protestanten: „Es gab aber auch eine gewisse Solidarität untereinander, vielleicht durch den gemeinsamen Mangel der die Menschen verbunden hat“, so Keiner. Sprache und Kultur der Heimischen und der Zugezogenen ähnelten sich. Im Land herrschte Aufbruchstimmung. Arbeiter wurden gesucht, so dass die Heimatvertriebenen schnell Jobs fanden.
Durch den Abend führte Martina Reuter-Becker, Quartiersmanagerin der Caritas. Sie schlug den Bogen zur heutigen Flüchtlingssituation, Unterschiede und Gemeinsamkeiten wurden diskutiert. Hobinka: „Wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe oder mit den Menschen hier spreche, kommen Erinnerungen hoch und ich kann mich gut in deren Situation hineinversetzen.“
Am Ende der Veranstaltung waren sich alle Anwesenden einig: Um anzukommen sei es wichtig, die Sprache des Landes in dem man lebt zu sprechen. Von großer Bedeutung sei auch, die eigene Kultur weiter pflegen zu können.