„Man wird Teil einer Familie“
"Ich suche jemanden, der jeden Tag 5 km mit meiner Mutter laufen geht." Auch solche ungewöhnlichen Anfragen nach Unterstützung durch eine*n ehrenamtliche*n Demenzhelfer*in erreichen das Team des Ambulanten Demenz- und Besuchsdienst des Caritasverbandes Wetzlar/Lahn-Dill-Eder e.V. Denn die Hobbies und Vorlieben der demenzerkrankten Menschen, die von den Helfer*innen des Dienstes besucht werden, sind vielseitig und gehen manchmal eben auch über "normale" Aktivitäten hinaus.
In der Regel begleiten die Demenzhelfer*innen demenzerkrankte Menschen oder Menschen mit anderen Einschränkungen in ihrem Alltag in den eigenen vier Wänden und ihrem Lebensumfeld: Sie gehen beispielsweise mit ihnen spazieren, spielen miteinander, singen gemeinsam, kochen zusammen oder lesen vor - je nach Bedarf zu individuell abgestimmten Zeiten. Ihr Einsatz entlastet einerseits die Angehörigen, die mit der Betreuung oft rund um die Uhr gefordert sind: "Ich konnte mich endlich mal wieder auf einen Kaffee verabreden", so eine Angehörige. Andererseits schenken die Demenzhelfer*innen Betroffenen eine schöne gemeinsame Zeit, die ihnen Freude und Abwechslung im Alltag bringt.
Den/ die geeignete Demenzhelfer*in mit der entsprechenden Anfrage passgenau zusammenzubringen, ist daher eine der zentralen Aufgaben des Dienstes. Elvira Schmidt und Viola Metz bilden dabei das Kernteam des Ambulanten Demenz- und Besuchsdienstes. Zu ihren Aufgaben zählen konkret die Unterstützung, Beratung und Betreuung demenzkranker (oder anderweitig eingeschränkter) Menschen und ihrer Angehörigen durch freiwillig engagierte Helferinnen und Helfer. Dies beinhaltet auch, umfassend über das Thema Demenz zu informieren sowie die Organisation von Schulungen und die Betreuung der ehrenamtlich Tätigen, die im Einsatz sind.
Vlnr.: Elvira Schmidt (Ambulanter Besuchs- und Demenzdienst), Martina Oehler (ehrenamtliche Demenzhelferin) und Viola Metz (Ambulanter Besuchs- und Demenzdienst)
Der Ambulante Demenz- und Besuchsdienst startete 2008 als Modellprojekt im Norden des Lahn-Dill-Kreises. Das Projekt war zunächst als reiner Demenzdienst ausgelegt, doch durch die Kooperation mit der Hauskrankenpflege Lahn-Dill gelang es, das Netzwerk und die Möglichkeiten des Dienstes zu erweitern. Damit ergab sich die Chance, ein "Rundum-Paket" in Sachen Pflege und Demenzbegleitung zu bieten: "Viele Interessierte wissen gar nicht, welche Leistungen ihnen zustehen und welche davon sie für unsere Angebote in Anspruch nehmen können," so Elvira Schmidt. Wenn im Gespräch deutlich wird, dass noch Fragen über das Thema Demenz hinaus offen sind, die sich z.B. auf den Aspekt Pflege beziehen, vermittelt das Team an den Kooperationspartner der Hauskrankenpflege Lahn-Dill weiter oder an weitere Einrichtungen wie etwa nahe gelegene Pflegestützpunkte.
Das erste Jahr stand ganz im Zeichen des Aufbaus, der Planung und Entwicklung des Ambulanten Demenz- und Besuchsdienstes. Das Sozialministerium förderte das Projekt drei Jahre lang, doch am Ende der Projektlaufzeit war klar: Der Bedarf an Unterstützung durch das Team der ehrenamtlichen Helfer*innen ist nach wie vor ungebrochen und nimmt stetig zu. Rund 200 Klient*innen betreut das Team aktuell. Viel Werbung für die eigene Arbeit, das kontinuierliche Angebot an Schulungen und positive Mund-zu-Mund-Propaganda haben dafür gesorgt, dass der wachsenden Nachfrage auch eine ausgeglichene Anzahl an ehrenamtlichen Helfer*innen gegenübersteht. "Damit sind wir in der glücklichen Lage, die meisten der Anfragen erfüllen zu können", so Viola Metz.
Jede*r kann als Demenzhelfer*in tätig werden: Zur Vorbereitung für die Einsätze gibt es eine intensive Schulung und eine jährliche Fortbildung, die kostenfrei sind. Dabei erhalten die künftigen Demenzbegleiter u.a. Informationen zum Thema Demenz, zu rechtlichen Fragen, zum Umgang mit Erkrankten oder zu Aspekten des Ehrenamts. Jede*r Interessierte*r ist beim Ambulanten Demenz- und Besuchsdienst herzlich willkommen: "Von 18 Jahren bis 70+ sind bei uns alle Altersgruppen vertreten", so Elvira Schmidt. Eine Besonderheit gibt es allerdings: Mehr als 95% der Aktiven sind Frauen.
Aber was motiviert Menschen, als Demenzhelfer aktiv zu werden? Martina Oehler, seit 13 Jahren Demenzbegleiterin, beschreibt es so: "Bei meiner ehemaligen Arbeit im Seniorenheim habe ich am liebsten gemeinsame Zeit mit meinen Patienten verbracht. Miteinander reden, spazieren gehen, zuhören, für Patienten da sein. Aber eigentlich war dafür oft keine Zeit da." Aus diesem Grund wechselte Frau Oehler zunächst zur Caritas Sozialstation und kurze Zeit später zum Ambulanten Demenz- und Besuchsdienst. "Das war genau das, was ich mir vorgestellt hatte: Menschen im Alltag helfen, sich für sie Zeit nehmen und gleichzeitig Angehörige unterstützen." Seit rund 13 Jahren ist sie für unterschiedlichste Klientinnen und Klienten da. Wichtigster Punkt dabei: Die Chemie zwischen allen Beteiligten muss stimmen.
"Aus diesem Grund nehmen wir uns im Vorfeld viel Zeit, um den passenden Ehrenamtlichen mit dem passenden Interessenten zusammenzubringen", erklärt Elvira Schmidt. Man klopft im Vorfeld die Ist-Situation ab, informiert sich über Vorlieben und Interessen, vereinbart einen Kennenlern-Termin vor Ort und klärt die Erwartungen auf beiden Seiten ab - sowohl bei Klientinnen und Klienten als auch beim Ehrenamtlichen. "Wichtig dabei ist klarzustellen, dass wir keinen günstigen Putz- oder Pflegedienst vermitteln, sondern Angehörigen einen Freiraum von der Pflege verschaffen, z.B. für eine Auszeit mit Freunden, und gleichzeitig den Betroffenen eine schöne gemeinsam verbrachte Zeit ermöglichen", so Viola Metz.
"Auf jeden Fall braucht man Empathie und Fingerspitzengefühl, um auf die Betroffenen eingehen zu können und ihre Bedürfnisse zu verstehen", so Frau Oehler. Auch Flexibilität spiele eine große Rolle: "Wenn ein Spaziergang geplant war, es aber an dem Tag regnet, dann braucht es einen Plan B für den Besuch - wie etwa gemeinsam puzzeln oder singen."
Die Einsätze der Ehrenamtlichen sind dabei so vielseitig wie die Klienten selbst: "Manche lieben einen gemeinsamen Spaziergang, weil dafür z.B. bei berufstätigen Angehörigen oft die Zeit fehlt. Andere möchten zusammen etwas backen, weil sie das früher immer gerne für die Familie gemacht haben. Und manche sind bettlägerig oder schwerstdement und freuen sich einfach nur über Gesellschaft", fasst Elvira Schmidt zusammen. Ziel ist es, mit den Besuchen Betroffenen so lange wie möglich ein selbst bestimmtes Leben zu Hause zu erhalten und sie mit den Besuchen so vielseitig wie möglich zu stimulieren und zu aktivieren. Dass dies in den meisten Fällen hervorragend gelingt, zeigen die vielen positiven Rückmeldungen von Betreuten und ihren Angehörigen: "Und diese Momente der Wertschätzung sind für die Mitarbeitenden besonders wichtig", unterstreicht Viola Metz.
Wichtigste Voraussetzung für einen gelungenen Einsatz, der manchmal mehrere Jahre lang andauert, sei die Balance zwischen Nähe und Distanz, betont Frau Oehler. Die ehrenamtlichen Helfer*innen werden daher bestärkt, auch Nein sagen zu dürfen und sich bei schwierigen Situationen abzugrenzen. Denn auch herausfordernde Situationen gehören zum Alltag der Helfer*innen. Wenn etwa betreute Menschen, zu denen man eine Bindung aufgebaut hat, versterben, wenn sich der Zustand der betreuten Person stark verschlechtert und dies zu einer großen emotionalen Belastung für die Mitarbeitenden wird oder wenn die die Erwartungen auf beiden Seiten zunehmend auseinanderdriften. Die Möglichkeit, sich über solche Situationen und Erlebtes mit anderen Ehrenamtlichen vertraulich auszutauschen und Rat z.B. für schwierige Situationen zu bekommen, bietet der regelmäßig stattfindende Stammtisch. Hier stehen "alte Hasen" den neu hinzugekommenen Helfer*innen mit Tipps, Ideen und manchmal einfach einem offenen Ohr zur Seite. Und natürlich hat das Team des Ambulanten Demenz- und Besuchsdienstes immer ein offenes Ohr, um bei Fragen Hilfestellung zu geben.
Viele Mitarbeitende kommen mehrere Jahre in den gleichen Haushalt und Kontakte zu Angehörigen bleiben nicht selten auch nach dem Versterben der Betreuten Bestehen. Die Kernfrage, die man sich stellen müsse, hebt Frau Oehler hervor: "Fährt man mit einem guten Gefühl hin?" Denn schließlich soll es für beide Seiten eine schöne Zeit sein. Man erlebt viele besondere Momente: Man erlebt Trauriges, aber auch viele lustige und schöne Momente, die im Gedächtnis bleiben. "Man wird eben ein Teil der Familie", beschreibt Frau Oehler die Arbeit.
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